Die Rekonstruktion und Modellierung des individuellen Lebensführungssystems in unterschiedlichen Lebensphasen erfolgt auf der Basis von narrativ-biographischen Interviews und deren sequenzanalytischer Auswertung.
Dies ermöglicht es, das je individuelle Lebensführungssystem mit den ihm zugrunde liegenden (problemverursachenden) psycho-sozialen Dynamiken und Mustern in seiner lebensgeschichtlichen Genese und Transformation (z. B. durch kritische Lebensereignisse) zu rekonstruieren, modellieren und visualisieren.
Die folgende Abbildung veranschaulicht exemplarisch die Modellierung der Dynamik im Lebensführungssystem von Stefan. Sie zeigt drei Kreisläufe, zwei soziale und einen psychischen, die zusammen hängen und sich gegenseitig verstärken. In ihrem Zusammenspiel erklären sie die Problemdynamik von Stefan. Das Verständnis der Problemdynamik erlaubt eine adäquate Handlungsplanung.
Optional kann die Systemmodellierung mit Daten aus weiteren Gesprächen sowie Daten aus dem Real-Time Monitoring vervollständigt und überprüft werden. Das Real-Time Monitoring als Zeitreihenverfahren ermöglicht es, psychische und soziale Prozesse im Verlauf zu beobachten. Damit können Phasen mit signifikanten kritischen Fluktuationen, die eine Musterveränderung ankündigen, also Krisen, Rückfälle oder Entwicklungsschritte, frühzeitig erkannt und in die Hilfeplanung einbezogen werden.
Die idiografische Systemmodellierung von Lebensführungssystemen eignet sich insbesondere für eine fundierte lebenslaufbezogene Rekonstruktion von Einzelfällen in der Sozialen Arbeit. Sie ermöglicht nicht nur eine Rekonstruktion und Visualisierung der aktuellen psycho-sozialen Fall- und Problemdynamik, sondern auch ihrer lebensgeschichtlichen Hintergründe und Ursachen.
Interessant v. a. für professionelle Settings in unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit, in denen Fälle in ihrer gesamten Komplexität erfasst und nachhaltige Problemlösungsprozesse initiiert und begleitet werden sollen. In Kombination mit dem Real-Time Monitoring besonders geeignet für komplexe Fälle, die Nachsorge nach stationären Aufenthalten und zum Erkennen und Vermeiden von Rückfällen.
Neben dem hohen zeitlichen Aufwand ist aufgrund unserer Erfahrungen unbedingt zu berücksichtigen, dass es sich um wissenschaftliche Verfahren handelt, die für die Praxis nutzbar gemacht werden sollen und die eine hohe Kompetenz erfordern. Zur Anwendung dieser Verfahren in der Praxis ist deshalb eine Schulung zu den theoretischen Grundlagen und zur korrekten Anwendung der Verfahren (narrative Interviews, fallrekonstruktive Auswertung, Systemmodellierung) unerlässlich. Alternativ können Auswertung und Systemmodellierung auch durch wissenschaftlich geschulte Personen vorgenommen werden. Die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW (HSA FHNW) bietet dies auch als Dienstleistung an.
Nachdem das Verfahren der idiografischen Systemmodellierung bereits seit einiger Zeit in Psychologie und Organisationsentwicklung verwendet worden war, wurde es an der HSA FHNW im Kontext von zwei Forschungsprojekten weiterentwickelt. Seit 2011 wird es im Feld der Drogentherapie einem Praxistest unterzogen. Dabei wird nach den Voraussetzungen für den Einsatz des Verfahrens in der dortigen therapeutischen und sozialarbeiterischen Praxis gefragt. Dieses Projekt wird zur Zeit evaluiert.